Noch sind Wenige unterwegs, aber es gibt bereits die ersten Bücher mit Corona-Erfahrungsberichten aus dem gebeutelten Italien. Wer kauft sich so etwas?
Die Leute, die immer gut informiert sein und etwas zu erzählen haben wollen beim Wein mit Freunden? – Den Wein mit Freunden gibt es grade nicht, nur einen eventuellen Spaziergang im Park mit Abstand, und dann traut man sich nicht laut über diese Lektüre zu berichten.
Ärzte? – Die haben dafür im Moment keine Zeit und sicher auch keine Lust so etwas zu lesen.
Mir fallen die ewigen Katastrophler ein, die schlimm denken und noch schlimmer reden: Alles ändert sich. Nichts wird mehr so sein wie früher. Ja, das mag sein, aber muss man denn gleich eben das unvorstellbare Schlimmste heraufbeschwören?
Klar und offensichtlich ist mir inzwischen: Die Menschen da draußen haben einen großen Kommunikationsbedarf. Plötzlich gibt es sogar ein Thema, das uns alle betrifft. Kein Wunder, dass wir uns anderen plötzlich nahe fühlen, auch wenn wir es so gar nicht sein sollen. Die Welt rückt zusammen und hält gleichzeitig Abstand. Trotzdem sind wir uns nah, und wir müssen kein Smalltalk-Thema, wie Staus und Baustellen auf der Autobahn oder die Verspätung der Bahn, mehr suchen. Es ist schon da.
Vielleicht haben die Damen, die mir, als ich zum ersten Mal mit Maske unterwegs war und mir ebenfalls mit einer solchen begegneten, deshalb so einen Kommunikationsdrang, denn noch sind wir wenige, die der staatlichen Empfehlung folgen und uns tatsächlich mit Maske für die Tür wagen. Empfehlung hin oder her – man sieh nicht genug, um sich nicht wie ein Alien zu fühlen. Ob Draht oder nicht, manchmal steht man mit Brille doch im Nebel, und man weiß nicht, was man tun soll, wenn es in der Nase kribbelt.
Auch bei den Pressekonferenzen trägt man keine Maske. Mit ist man vielleicht auch schlechter zu verstehen, oder hat man Angst mit dem Tragen noch mehr Panik zu schüren? Aber empfohlen wird doch und ganz bald in öffentlichen Verkehrsmitteln und im Einzelhandel verpflichtet.
Trotzdem sprach mich im Wartezimmer beim Arzt die weitere Dame mit Maske an, was ich doch für eine hübsche trüge. Gut, ich war schon stolz auf mein erstes Nähwerk seit der fünften Klasse, aber sie sprach mich nicht wegen seiner Schönheit an, sondern suchte Verbindung und meinte, sie müsse mich aufklären, dass meine ja nichts nütze, keine Hygiene, kein Virenschutz, kein FFP was-auch-immer. Nein, das tat sie nicht mit böser Absicht. Es war nur Teil der Verbindung, die sie aufbauen wollte: Es gibt eben derzeit nicht viel Gelegenheit Menschen von Angesicht zu Angesicht etwas zu erzählen. Angesicht ist gut… Sie fühlte sich als Maskenträgerin und Trägerin des Schutzordens gegenüber allen anderen sechs nackten Patienten im Wartezimmer mit mir im Bunde, trotz meines minderwertigen Exemplars aus übriggebliebenem Gardinenstoff. Sie hielt die Unterhaltung in Gang mit der Story, dass eine von ihr verschickte Maske für einen Bedürftigen – selbstverständlich auch mit höchstem Standard – in der Post verloren gegangen, aber doch eigentlich geklaut worden war. Dazu konnte ich nur betroffen und wortlos mit dem Kopf nicken. Mehr ging nicht. Damit war das Pulver verschossen und man zog sich wieder in sich selbst zurück; eine hochwirksame Maske, eine nur hübsche und sechs unspektakuläre Patienten.
Nein, ich machte mir keine Gedanken, wie ich jetzt an eine bessere Maske kommen könnte, schaute eher nach weiteren Schnittmustern. Das Nähen ist mal wieder etwas altes Neues für die Finger. Mir macht das Spaß, auch wenn meine Nähte weil handgemacht nicht supergrade sind. Keine Eins für die Handarbeit und trotzdem zufrieden.
Diese merkwürdige Verbundenheit kam am Nachmittag vor der Apotheke noch einmal auf. Es waren nur zwei Kunden im Laden erlaubt. Demonstrativ stand eine Frau mit Einwegmaske draußen, weit weg von der Tür. Ich fragte, ob sie warte, bekam aber keine Antwort. Als ich mich der Tür näherte, wurde ich angeherrscht. Ich herrschte zurück.
„Oh, Entschuldigung! Ich hatte sie nicht verstanden.“
Ok.
Ihr Mann sei lungenkrank. Da müsse sie sehr vorsichtig sein. Also, gleich das größte Geschütz aufgefahren, das Eindruck machen muss.
Ok, gute Frau, du hast gewonnen. Ich gebe auf.
Aber sollte man sich von der Angst das Leben schwer machen, begann ich den Richtungswechsel auf die positive Seite der Macht.
„Manche sind halt cool, manche ängstlich. Dann kann man nichts machen“, sprach’s, und ich hatte genug gehört, um zu wissen, dass da nichts zu machen ist. Da will niemand positiv denken.
Auch die Apothekerin, eine arme Frau ohne Maske, war hilflos und unsichtbar genervt. Man habe schon ewig Masken bestellt, aber sie kämen nicht.
„Ach, ist wieder nur eins der Medikamente da? Das habe ich mir schon gedacht. Dann muss ich wohl noch einmal wiederkommen.“
Ja, das muss sie wohl.
Da wirkte das Angebot der Kundin, dass sie ganz bald an Masken käme und einige mitbringen könnte, eher halbherzig. Ja, so ist das mit der Kommunikation: Einmal verwirkt, dann war’s das.
Ich könnte der Apothekerin eine schenken. Dafür müsste ich wieder nähen, konnte ein neues Schnittmuster ausprobieren… wo habe ich noch Stoff?
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Ihr Alltagskommentar gefällt mir. Noch mehr Ihre Stilleben. Was sie wohl kosten mögen? Ich muss mich noch mehr auf Ihren Seiten umsehen
Hallo Frau Peterson, so etwas lese ich doch gern. Seien sie versichert, ich habe noch lange nicht alle Stillleben online gestellt, aber ich bin dabei. Viele Grüße, Ulrike Miesen-Schürmann